Heute vor 50 Jahren: Der verschwundene Park

  • Ich weiß: Wir EP-Fans haben momentan die Nase voll von irgendwelchen Bränden. Dennoch möchte ich hier mal auf ein historisches Ereignis hinweisen, dass sich genau heute vor 50 Jahren, dem 10. Juli 1973, ereignete. Ein nahezu kompletter Freizeitpark wurde Opfer einer Brandstiftung und verschwand für immer von der Landkarte. Die Geschichte ist vor allem deswegen so interessant, weil sie nicht nur sehr mysteriös ist, sondern weil sie tatsächlich einen nicht unerheblichen Bezug zum Europa-Park hat.


    Hier muss ich weit ausholen und bis zum Beginn der 1960er Jahre zurückgehen. Damals hatte ein Deutsch-Amerikaner mit Namen Toni Lötschert die Idee, einen Märchenpark zu errichten. Dafür kaufte er in der Gemeinde Grafrath - nicht weit von München - ein großes Grundstück und errichtete dort eine Reihe von Gebäuden mit klassischen Märchenszenen. Dazu auch das ein oder andere Fahrgeschäft, wie z.B. eine Autofahrstrecke ähnlich der Silverstonepiste aus dem EP.

    Wie wir wissen, hatte u.a. auch das Phantasialand ein paar Jahre später mit einem Märchenpark begonnen. Bis hierher noch alles unspektakulär, also bitte noch etwas in Geduld üben.


    Der Märchenpark war ein großer Erfolg und deswegen pachtete Lötschert Ende der 60er Jahre weitere Flächen dazu und plante dort eine Westernstadt. Die lokale Politik unterstützte die Pläne, und so entstand um das Jahr 1970 eine Stadt mit 19 massiven Holzhäusern, darunter Saloon, Gefängnis und - Achtung! - eine geweihte Kirche in der man heiraten konnte (die Norwegische Stabkirche lässt grüßen).


    Dieser Westernpark nannte sich "Hot Gun Town" und wurde 1971 eröffnet. Und was soll man sagen: Es wurde wieder ein riesiger Erfolg. Jedes Wochenende gab es Shows, zu denen zahlreiche Besucher strömten. Diese Westernstadt muss so authentisch gewirkt haben, dass sogar das ZDF in den Jahren 1972 und 1973 dort eine 26-teilige Westernserie mit dem Titel "Stadt ohne Sheriff" drehte (bis heute die einzige deutsche Westernserie). Mit dabei waren eine Reihe bekannter Schauspieler, u.a. Uwe Friedrichsen.


    Bis hierhin war alles gut, aber es gab kein Happy-End! Das Projekt "Hot Gun Town" wurde zwar von der lokalen Politik unterstützt, jedoch wurde es sowohl von den Anwohnern (Verkehr und Lärm) als auch von Friedensaktivisten (bei den Shows gab es wilde "Schießereien" und mehrere "Tote") massiv abelehnt. Das ganze gipfelte schließlich im Juli 1973 in einem verheerenden Feuer, bei dem die komplette Westernstadt abbrannte! Es wurde eine professionelle Brandstiftung festgestellt, die Täter wurden nie ermittelt.


    Toni Lötschert gab auf. Wenige Monate später gab er die Grundstücke an die Gemeinde zurück und verließ den Ort. Was aus ihm wurde ist nicht bekannt. Für den Bezug zum EP ist aber eine andere Person von entscheidender Bedeutung. Vielleicht hat es schon der ein oder andere geahnt, als ich den Vergleich zur Stabkirche zog, denn die Planung und die Umsetzung der Westernstadt unterlag nämlich keinem anderen als: ULRICH DAMRAU!


    Das ich überhaupt auf diese Geschichte stieß, lag an einem kleinen Nebensatz in dem Magazin "40 Jahre Europa-Park - Die Chronik" von 2015. Dort steht u.a. über Damrau: "In Fürstenfeldbruck plante er seinen ersten Freizeitpark, einen Westernpark". Obwohl man in verschiedenen Publikationen des EP viel über Damrau findet, war dies der einzige Hinweis auf seine Verbindung zu dieser ominösen Westernstadt.

    Der Rest war einfach: Damals gab es in ganz Deutschland keine andere Westernstadt. Zudem wohnte Damrau zu der Zeit in München und arbeitete auch für das ZDF, was wiederum eine Verbindung zur Westernserie zu sein scheint.


    Merkwürdig ist, dass mit Ausnahme dieses einen unscheinbaren Satzes in dem o.g. EP-Magazin nirgends ein Hinweis auf seine Tätigkeit in Grafrath auftaucht. Weder in den zahlreichen EP-Artikeln, noch sonst wo. Eigentlich müsste es ja eine Werbung für Damrau gewesen sein, so etwas zu konzipieren. Auch beim ZDF findet man zwar ein paar Infos zur Serie und den Schauspielern, aber nichts zu Damrau, was in diesem Fall aber nachvollziebar ist, denn er erstellte die Westernstadt ja nicht fürs ZDF, sondern für Toni Lötschert.


    Richtig mysteriös ist aber, wie man mit dieser Geschichte in Grafrath umging. Wenige Monate nach dem Brand begann man damit, das Gebiet der ehemaligen Westernstadt aufzuforsten und die Gebäude des Märchenparks abzutragen. Lediglich das Eingangsgebäude zum Märchenpark blieb stehen, wurde aber vor kurzem ebenfalls abgerissen - hier entsteht ein Neubaugebiet.


    Interessant auch die Videos des Youtubers 3thedward, der als Kind die Westernstadt kannte und in den letzten Jahren dort diesen "Lost Place" besuchte. Er fand: Nichts! Er stand in einem Wald mit jahrzehntealten Bäumen und fand kaum einen Hinweis auf die Westernstadt, auch keine Geschichts- oder Hinweistafel o.ä. Lediglich ein paar Grundmauern waren sichtbar, vermutlich Überreste des Bahnhofes der Westerneisenbahn. Er hat dazu drei Videos veröffentlicht, dass letzt ist noch das aufschlussreichste:


    Mit der Metallsonde auf der Suche nach der Westernstadt
    Teil 3 meiner suche nach der Westernstadt in Grafrath die 1973 abgebrannt ist. Diesmal mit Hilfe einer Metallsonde
    www.youtube.com


    Schließlich war auch ich vor einigen Tagen in diesem Wald bei Grafrath und fand lediglich eine Art Hydranten Deckel, der mitten im Wald und ein paar hundert Meter vom Ort entfernt auf den möglichen Standort der Westernstadt hinwies.


    Bild von mir:


    Auf der Internetseite der Gemeinde Grafrath findet sich ebenfalls nirgends ein Hinweis auf diesen überregional und aus dem Fernsehen bekannten Park. Ich habe versucht, eine Bestätigung für die Tätigkeit Damraus zu bekommen. Zunächst fragte ich bei tv münchen nach, da ich wusste, dass sie schon mehrere Beiträge über Grafrath - auch historische - veröffentlichten. Hier wurde mir mitgeteilt, dass sie keine Informationen haben und auch in der Vergangenheit keinen Beitrag über diesen Park hatten.


    Bei der Gemeinde Grafrath hatte ich nunächst auch keinen Erfolg, wurde aber auf das Archiv verwiesen. Die nette Archivarin, die ich schließlich telefonisch erreichte, durchstöberte zwar das Archiv, musste mir dann aber mitteilen, dass wohl alle (!) Unterlagen über die Westernstadt bei dem Brand 1973 ebenfalls vernichtet wurden Eine Anfrage beim ZDF zu dem Thema blieb bis heute unbeantwortet. Hier hatte ich aber ohnehin keine Hoffnung.


    Somit blieb dieser kleine Nebensatz aus einem EP-Magazin der einzige Hinweis zu Damraus Planung von "Hot Gun Town". Wer weiß, vielleicht hat der Erfolg dieses Projektes dazu beigetragen, dass Ulrich Damrau sich ein paar Jahre später nochmal überreden ließ, einen weiteren Freizeitpark zu konzipieren...

  • Rekommandeur Meinst du den Bericht, in dem Lötschert interviewt wurde? Den kenn ich, also sagen wir mal so: So wortgewand wie Roland Mack war Lötschert wohl nicht. Aber verkaufen konnte er sich trotzdem. Ich glaube er war damals bei einem Faschingsverein in der Region sogar Faschingsprinz :) .

  • Genau den meine ich. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass nicht jeder Parkbetreiber anno 1971 bereits einen professionellen Rhetorikkurs hatte, um frei und seriös vor der Kamera sprechen zu können. Herr Lötschert schien allerdings - so macht er in diesen wenigen Sätzen den Eindruck - weniger Geschäftsmann, sondern mehr Idealist zu sein ;)

  • Das ist eine interessante und sehr mysteriöse Geschichte...Das mit der Brandstiftung und der "Mauer des Schweigens" ist gruselig. =O


    Ich habe gegoogelt und den Wikipedia Eintrag gefunden: Hot Gun Town – Wikipedia Dort findet sich bei den Einzelnachweisen ganz unten dieser interessant zu lesende Bericht wie und warum das damals passiert ist. Westernstadt "Hot Gun Town" - Erst Bürgerprotest, dann Brandstiftung - Fürstenfeldbruck - SZ.de (sueddeutsche.de)

    Aber auch die anderen Einzelnachweise sind interessant, bei einem finden sich auch Fotos vom Westernpark.

  • Showfan Das habe ich alles durchforstet (witzig in dem Zusammenhang). Mit Bildern bin ich vorsichtig, da ich nicht weiß, was man hochladen darf. Der Bericht bei der "sueddeutsche.de" ist relativ ausführlich und trotzdem bleiben Fragezeichen. Dein Begriff "gruselig" trifft es ganz gut, und den wollte auch ich verwenden. Aber das ganze hätte dann doch zu verschwörerisch geklungen. Denn wie sagte schon Sigmund Freud: "Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre". ;)

  • Zafira Ich kann deine Bedenken wegen einer Verschwörungsgeschichte gut nachvollziehen, der Vorfall bietet ja auch jede Menge Stoff dazu. Die Zeitungsberichte sind jedoch authentisch, es gibt ja sogar einen von 1971 als die Proteste angefangen haben.

    Warum Damrau nicht erwähnt wird, keine Ahnung. Vielleicht war das damals nicht wichtig und später hat er sich davon distanziert, weil er Ruhe vor der Geschichte haben wollte. Wie du zitiert hast: "Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre."

  • Was für Geschöpfe, die anderen das Geschäft und den Spaß verderben wollten und es auch geschafft haben. Vielleicht befanden sich auch an den wichtigen Positionen der Behörden und zuständigen Ermittlern Gegner des Parks. Ansonsten würde daraus kaum ein solches Geheimnis gemacht werden. Sehr schade, ich bin mir sicher wir hätten so heute einen weiteren schönen Freizeitpark in Deutschland.

  • KathaEP Um Gottes willen! So etwas würde ich nie behaupten wollen. Von der lokalen Politik wurde er ja unterstützt. An "Vertuschung" glaube ich nicht. Außerdem: Wäre dieser Park weiter existent und erfolgreich, wer weiß, ob Damrau dort nicht ein festes Engagement bekommen hätte? Vielleicht wäre er dann nie in den EP gekommen. Hat alles seine zwei Seiten.

  • Ich verstehe trotzdem nicht, was der jetzt mit dem Paulaner Garten in München zu tun hat. Ist zwar nah, aber so nah jetzt auch nicht. Hast du Beweise für den Sponsor?

    Sevisax Ach so, danke. Könnte man auch weniger kryptisch beschreiben oder zumindest Hinweise dafür ausführen.

  • Ich kenne auch einen ehemaligen Märchenpark in der Nähe, davon stehen noch ein paar Ruinen im Wald, sonst gibt es auch nicht mehr viele Infos, dabei soll der in den 50ern ein Besuchermagnet gewesen sein und verfiel in den 70er Jahren.


    In meiner Nachbarstadt Witten stand mal eine Freilichtbühne mit Plätzen für 5000 Zuschauern, jetzt ist da ein Wald ohne Spuren der Vergangenheit.


    Nur weil es wenig Belege gibt, heisst das nicht das die Geschichte erfunden ist. Kann nicht jeder vergangene Park so berühmt sein wie der Spreepark.

  • Mysteriös ist auch die Schließung des Tivoliparks bei Pirmasens. Wegen angeblicher unzulässigen Baumassnahmen ist der Betreiber im Gefängnis gelandet. Ich glaube es war der ehemalige Manager, der ein Buch darüber geschrieben hat. In der Nähe ist ja die US-Army stationiert und diese wohl ein Interesse an der Schließung des Parks hatte.

    Die Wahrheit wird hier wohl auch nie ans Licht kommen.

  • passt hier vielleicht ganz gut rein: kaum einer weiß, dass bei Groß-Gerau nähe Mainz/Frankfurt Mitte der 70er einer der damals größten Freizeitparks in Deutschland stand, der "Safaripark". Viele exotische Tiere (Löwen, Elefanten, etc), ein Delphinarium, ein Mad House, eine Westernbahn, eine Einschinenbahn, und vieles mehr.


    Streitereien und Misswirtschaft haben letztendlich zum Untergang geführt.


    Das Ende (safarilandgg.com)